Er
ist immer noch aktiv (2016), fliegt, baut und schraubt an den Fluggeräten
herum, gibt bereitwillig bei Szenetreffen Tipps und hilft wo er nur kann.
Dabei handelt es sich bei den Fliegern nicht um solche, wo man sich mit
dem Schlips hineinsitzt, die sündteuren Headsets überstülpt und den
Steuerknüppel mit zwei Fingern rührt, sondern solche bei denen man
auf dem Bauch liegt, beim Rollen ein paar Zentimeter über der Grasnarbe und selbst bei Vollgas das Steigen bei ungünstigen
Abwinden in Zentimetern angegeben werden muss.
Die Rede ist von Norbert Schwarze, dem
Hersteller des Minimums. Sein Domizil liegt etwa 15 km nordöstlich von Bielefeld,
im ländlich geprägten Westfalen. Ein Ortsteil der Kleinstadt Werther, Teenhausen,
beherbergt die UL-Schmiede. Doch der Reihe nach! Kaum,
dass es die Spezies Drachen gab (behördlich werden sie ja Hängegleiter genannt, denn
Drachen sind die Geräte, die wir vom Drachensteigen aus Kindertagen kennen), versuchte
Norbert damit in die Luft zu kommen. Der ehemalige Motorradrennfahrer und
beinahe Australien-Auswanderer begnügte sich allerdings nicht mit den kurzen Gleitflügen von
Bergen. Von den Hüpfern von den Hügeln im flachen Norddeutschland ganz zu
schweigen. Schließlich war der motorisierte Flug schon vor gut 70 Jahren von den
Gebrüder Wright populär gemacht worden.
Was lag näher, als dem Drachen einen Motor mit Propeller
anzuschrauben und dann ab in die Lüfte. Fragte sich nur, wo am Hängegleiter dafür der
geeignete Platz ist.
Eine ganze Reihe von möglichen Anordnungen wurden
sprichwörtlich unter Einsatz des Lebens von verwegenen Bastlern ausprobiert. Hier sollen
nur die bekanntesten kurz erwähnt werden, die dann tatsächlich flogen, zunächst
meist nur von Erbauer selbst beherrscht. Ein Fremder war damit schnell überfordert, wenn
er sich denn überhaupt Gas geben traute.
Mister Minimum: Norbert Schwarze, 2005 |
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Konstruktionen, bei denen der Motor am Turm
(Schöffmann baute als erster so ein Ding) oder oben am Trapez angebracht war,
erwiesen sich als höchst instabil und lebensgefährlich. Das Ganze liegt zu
hoch und verursacht beim Start ein starkes Kippmoment. Auch zwei Motoren, die an V-förmigen Streben kurz vor dem Gelenk am Kielrohr
befestigt werden, waren eine schlechte Lösung. Was, wenn ein Motor gar ausfällt, oder
sich Teile lösen? Der Pilot liegt in der Propellerebene und abfibrierte Teile können ihn
wie Geschosse treffen. Ap Mulders in Holland flog so ein Ding mit zwei 60 ccm
Modell-Flugzeug-Motoren. Nun gut, nicht mal 100 Meter Steigen und er war über dem
höchsten Berg seines Landes. Für die Serie wurde das Zweimot-UL nirgends zugelassen. |
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In den USA verbreitete sich das
Soarmaster-Prinzip recht erfolgreich. Ein vor dem Trapez liegender Motor treibt über eine
lange Welle den Heckpropeller an. Auch hier traten Probleme auf: wenig Fahrtwind kühlt
den Motor schlecht, also Gebläsekühlung, die über 2 m lange Welle ist schwer. Ein
starker Motor scheidet aber aus Gewichtsgründen von vorne herein aus: Platzgründe. Und
wer kann den beim Fußstart schultern? Hermann
Kümmerle verbesserte die Konstruktion zu einem voll Rollstart fähigen UL. Wir kennen es
unter der Bezeichnung Minifly Set. Es wird heute noch gebaut. |
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Motorisierte Gleitschirmflieger mit ihren Rucksackmotoren
sind heute ein fester Bestandteil der UL-Szene. 1975 experimentierte Bill Bennet, ein
Drachenfliegerpionier und Hängegleiter-Hersteller, in den USA mit einem als Rucksack auf
den Rücken geschnallten Motor. |
Der Propeller war von einem Schutzkäfig umgeben.
Überzeugend war es nicht! Und wer mag so einen Lärm unmittelbar neben seinen
Ohren? Vom Gewicht bei der Landung ganz zu schweigen! |
Als erfolgreichste Konstruktion erwies sich,
wenn man den Piloten auf ein festes, mitpendelndes Gestell setzt und daran den Motor mit
Zusatzaggregaten schraubt. Der Motor ist sicher vom Piloten entfernt, hat eine tiefe
Lage. Leider ist der Propeller beim Rollen und Starten sehr knapp über dem Boden. Also baute
man ein höheres Gestell. Das alles erfordert stabiles Material und das ist nun mal
relativ schwer. Folglich braucht man mehr Motorleistung, zumal die Aerodynamik miserabel
schlecht ist. Und das ergibt wieder mehr Gewicht! |
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Aber das Ding fliegt sicher. Wir kennen es heute als Trike.
Gerd Wilden baute als erster so ein Fluggerät.
Er ist damit der eigentliche Erfinder des Trikes. Leider verunglückte er beim Ausprobieren eines zum
Nasensporngerät umgebauten
Drachens. Das zu geringe pitch up wurde ihm zum tödlichen Verhängnis.
Lässt man die schwere Gondel des Trikes weg,
setzt den Piloten in das viel leichtere Gurtzeug und bezieht den Körper praktisch in den
Aufbau ein, hat man das Prinzip des Minimums. Der Motor (Propeller) muss, damit er nicht
mit der Unterverspannung des Drachens in Berührung kommt, weit nach hinten wandern. Das
Hauptschubrohr ist an der Kielstange über einen PU-Klotz befestigt. Die Hecklastigkeit
gleicht man aus, indem die Pilotenaufhängung weiter vor wandert. Das ist das genial
einfache Konstruktionsprinzip des Minimums. Moderne Minimums sind so gebaut, dass beide an
der selben Stelle ansetzen. Damit kann der Aufhängegurt der gleiche sein, wie beim
Fliegen ohne Motor. |
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1978 baute Wilfried Bleidiesel nach leidvollen Erfahrungen
anderer Bastler so einen Motordrachen, bei dem der Motor flexibel weit hinter dem Piloten
angeordnet war und die Schubkraft zu etwa zwei Drittel im Aufhängepunkt an der Kielstange
(über das Hauptschubrohr) und zu einem Drittel am Piloten (über zwei Schubstangen,
die vom Motor zum Gurtzeug verlaufen) ansetzen lässt. Wie beim Trike kippt der Pilot im
Flug, wenn er die Basis |
zieht bzw. drückt
(= verändern der Geschwindigkeit) mittels der
beiden Schubstangen auch die Propeller-Ebene und damit den Propellerstrahl.
Mit diesem
"Power-Steering" genannten Effekt erhöht sich die Steuerbarkeit. Zusätzlich
addiert sich über die Schubstangen die Masse des Motors zu der des Piloten. Zusammen mit
dem tiefen Schwerpunkt ergibt das eine gute Steuerbarkeit des Minimums und eine stabile
Fluglage. |
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Wilfried Bleidiesel aus Hamm war also der erste,
der ein Gerät nach diesem Prinzip baute und flog. Er lies es sich sogar patentieren! Das
war 1978. Der erste Motor leistete nur 6 PS. Zusammen mit den geringen Flugleistungen der
damaligen Drachen war an richtiges Fliegen, will heißen steigen, nicht zu denken. Nach
diesem schwachbrüstigen Dolmar-Motor nahm Wilfried einen 9 PS starken
Kettensägenmotor von Stihl. Der Propeller war nicht mehr direkt am Kurbelwellenausgang
angebracht, sondern über eine Untersetzung. Norbert Schwarze baute bereits dieses Gerät
in seiner Werkstatt zusammen. Wilfried
Bleidiesel (links) und Norbert Schwarze bei der Montage eines der ersten Minimums. |
Fliegen mit Motor war damals in Deutschland offiziell
verboten. Im Sommer 1979 trafen sich motorisierte
Hängegleiterpiloten um ihre Geräte vorzuführen. Unter
"Federführung" von Herrn Tänzler (damals DAeC-Angestellter
und Flugschulinhaber für Hängegleiter in München) und Herrn Nolle von der
Gesamthochschule Kassel sollte
die Gründung eines Erprobungsprogramms "Motorisiertes
Hängegleiten" in die Wege geleitet werden.
Die
Konstruktion von Bleidiesel wollte man erst gar nicht starten lassen, so ungewöhnlich
wirkte sie. Erst als ein kurzer, acht mm Amateurfilm das Minimum
anderntags in Aktion zeigte, durfte Bleidiesel starten. Das Minimum überzeugte und durfte
später sofort am Erprobungsprogramm teilnehmen.
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Zwei
Ur-Minimums in Aktion. Gestartet wurde damals grundsätzlich per Fuß. Bügelräder waren
noch nicht erfunden. Auch in der Hängegleiterschulung kannte man sie noch nicht, wie der
Verfasser aus leidvollen Erfahrungen bestätigen kann. |
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1982 wurde das Drachenfliegen mit Motor als
Ultraleichtfliegen legalisiert. Das Minimum war vom ersten Tag an dabei und fliegt
heute noch, vom Konstruktionsprinzip unverändert. Es dürfte das am häufigsten gebaute
Ultraleicht-Modell der Welt sein. Über 1300 Stück konnten bislang verkauft werden. Getestet und später zugelassen wurden die verschiedensten Flächen. |
Norbert Schwarze als gelernter Maschinenbautechniker nahm
sich um Bau und Vertrieb des Minimums an. Sein von ihm erfundenes, patentiertes und über
1500 Mal verkauftes Rettungssystem (Help-System) eignete sich auch für das Minimum
bestens. Die Anbringung an der Turmspitze gewährleistet ein Öffnen des Schirm, ohne dass
Teile in den laufenden Propeller kommen. Auch heutige Minimums haben noch das
Turm-Rettungssystem. Es wird aktuell von der Firma Charly hergestellt. |
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Ein Minimum Baujahr 1985, mit
dem der Verfasser in 15 Jahren nahezu 800 Stunden in der Luft verbrachte.
Der Verkauf von Minimums lief nach Abschluss des
Erprobungsprogrammes ab 1984 so richtig an. Als Motor hatte man schon davor den stärkeren
Solo entdeckt. Zeitweise wurden zwei Einheiten in der Woche produziert und weltweit
vertrieben. Minimums flogen und fliegen teilweise noch heute in Brasilien, Australien,
Südkorea ... Makabere Berühmtheit erlangte das Minimum aufgrund eines aufgebauschten,
reißerisch bebilderten Zeitungsberichtes (Fotomontage!), das einen angeblich
palästinensischen Terroristen mit Maschinengewehr im Anflug auf Israel zeigte. |
Sieht auf den ersten Blick nicht nach Flugzeugwerft oder
High-Tec-Schmiede aus, aber hier in Teenhausen
werden die Minimums gebaut
(Aufnahme 2005).
Eingeflogen werden sie auf dem nahen Flugplatz in Melle.
Fremdgänger: Norbert Schwarze
baute auch ein Gleitschirmtrike. Diese Fetzenfliegerei hat er aber bald wieder ad acta
gelegt.
Sein nächstes Ziel soll ein (zugelassenes) Minimum für
zwei Personen sein. Die neue Doppelsitzerfläche von bautek und der Hirth-Motor bieten
sich dazu an. Beim Minimumtreffen in Laucha 2005 wurde erstmals ein Viertaktmotor
(Zweizylinder) in einem Minimum verwendet. Minimum mit maxi Mumm, sozusagen! |
Da fliegt er schon lieber Minimum - bevorzugt im Winter down
under.
Am Sonnenstrand von Tasmanien, wo die Wärme einen
Fliegeroverall gänzlich überflüssig macht und niemand nach einer Außenstarterlaubnis
fragt, macht Minimumfliegen unendlich Spaß.
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Das schnellste Minimum fliegt 80
km/h Reise. Die Kombination
mit einem Starrflüglers (Exxtacy) ermöglicht bei minimalem Spritverbrauch ein flottes
Vorankommen. Damit können Sie mit (fast) einem Trike mithalten.
An Ideen mangelt es Norbert Schwarze nicht. Da spielt das
Alter (Geburtsjahr 1941) keine Rolle. Minimumfliegen hält jung.
Ein Schelm, der da an
Rente und Ruhestand denkt.
Wechsel
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Trotzdem, einmal muss jeder
seine Firma in jüngere Hände geben. Auch Norbert Schwarze hat sich
im Herbst 2010 aus dem "Tagesgeschäft Minimum"
zurückgezogen. Alle
Muster der Geräte wurden von Enthusiasten aus dem Raum Berlin
übernommen. Es sind Leute, die zum Glück nicht vom Minimum leben müssen,
aber mit wachsender Begeisterung ausbilden und bauen. Sie haben
bereits mit der Fertigung in "Altes Lager", südlich von
Berlin, in der eigens gegründeten Firma ALF (Altes Lager
Fliegermeister) begonnen.
Somit ist gewährleistet, dass die Geschichte des Minimums noch
hoffentlich lange weitergeschrieben werden kann. |
Das sind die neuen "Macher
" des Minimums: Von links: Volkmar
Kienöl, Norbert Schwarze,
Nick Kuschmierz (nicht mehr im Team) und Markus Hanisch bei der
Übergabe in Norberts Werkstatt. zur
Übersicht fußstartfähige Ultraleichte |